Er schäme sich ein wenig, gibt Sandro Tschawtschawadse zu. «Ich habe keinen Anruf gekriegt», sagt er. «Dabei haben fast alle, die ich kenne, einen bekommen.» Er spricht von den Drohanrufen, die in den letzten Tagen massenweise bei georgischen Demonstrierenden eingegangen sind.
Sandro ist 28, arbeitet als Bibliothekar und sagt er sei «eher links, aber kein Aktivist». Doch nun will er in der Nacht auf Dienstag bis zum Morgengrauen vor dem Parlamentsgebäude in Tiflis ausharren, ein Zeichen setzen gegen das «Agentengesetz» der Regierung.
Mit dem Gesetzesentwurf habe er sich genau auseinandergesetzt, sagt Sandro. «Die Regierung sagte immer, die Gegner hätten das Gesetz gar nicht gelesen. Darum haben wir es erst recht gut angeschaut», sagt er. Entgegen den Behauptungen der Urheber könne man es nicht mit ähnlichen Gesetzen im Westen vergleichen. «Es gibt der Regierung ein Instrument, um kritische Organisationen zu schliessen.»
Wichtig sei dabei, dass das Parlament dazu noch ein neues Steuergesetz eingeführt habe, das Offshore-Kapital nach Georgien locken soll. «Dann haben wir keine Regulierung, keine Überwachung, keine Organisationen und Medien mehr, die da aufpassen», so Sandro. «Georgien wird zum Paradies für Schwarzgeld.»
NGOs als «Verräter» gebrandmarkt
In der Tat agiert die Regierungspartei «Georgischer Traum» oft im Interesse ihres Gründers, des reichsten Georgiers Bidsina Iwanischwili, und dessen Geschäftspartner. Und seit Jahren höhlt sie die Demokratie in Georgien aus. Justiz, Medien und andere Institutionen hat sie unterwandert, gegen kritische Stimmen geht sie immer härter vor.
Diese stammen oft aus dem Nichtregierungssektor, der in Georgien ohne Geld aus dem Westen nicht überleben kann. Argumentierte die Regierung zu Beginn noch, beim Gesetz gehe es bloss um «Transparenz», bezeichnet sie die betroffenen NGOs inzwischen offen als «Verräter».
Dabei leisten die aus dem Ausland finanzierten Organisationen oft essenzielle Arbeit in Georgien. Das weiss Tata Gatschetschiladse. Tata ist Medizinstudentin und kennt das teilweise marode georgische Gesundheitssystem von innen. «Die NGOs klären Leute über Krankheiten auf, sie lancieren Programme für Krebsfrüherkennung», sagt sie. Und sie unterstützten Menschen, die sich Behandlungen nicht leisten könnten. «Oft kriegst du eine teure Behandlung nur, wenn du der Cousin von jemandem bist», sagt Tata. «Es gibt viel Korruption.»
Wir wollen nicht Repression, sondern Demokratie. Und die Regierung ist daran, hier ein gutes Leben unmöglich zu machen.
Anders als Sandro sieht sich Tata als wirtschaftsliberal, sie will vor allem Russlands Einfluss auf Georgien eindämmen. Die politischen Einstellungen der Demonstrierenden, die um drei Uhr morgens vor dem Parlament singen, tanzen und Volleyball spielen, sind vielfältig. Was sie eint, ist die Überzeugung, dass Georgien in die falsche Richtung geführt werde.
«Es ist eigentlich egal, was die Regierung genau will oder ob Russland dahintersteckt», sagt Sandro. «Es geht nicht um Russland an sich. Wir wollen einfach kein politisches System wie in Russland. Wir wollen nicht Repression, sondern Demokratie. Und die Regierung ist daran, hier ein gutes Leben unmöglich zu machen.»
Es gehe also um die Zukunft des Landes. Doch niemand habe vor, das Parlament zu stürmen, glaubt Sandro. «Das wäre doch ein Witz», sagt er. Der Protest werde friedlich weitergehen, wenn nötig monatelang.